Er kannte sie alle! Den Ur-Opa, den Opa, den Enkel und den Ur-Enkel! Vier Stiebling-Generationen nannte Uwe Rednau respektvoll „Chef“. Eingestellt beim Herner Reifen-Fachhändler wurde er am 2. Juli 1973 von Firmengründer Alfred Stiebling senior. Jetzt, fünf Jahrzehnte später, begleitet ihn dessen Urenkel Alexander Stiebling in den Ruhestand. Nach 50 Jahren als Reifenmonteur und Vulkaniseur in ein und demselben Unternehmen. Seinen Abschied aus dem Berufsleben zum 1. August 2023 kommentiert Uwe Rednau ganz trocken: „Irgendwann muss man ja mal gehen.“

An einen Wechsel des Arbeitsgebers hat er nie einen Gedanken verschwendet. „Nö, warum denn? Arbeiten muss man doch überall. Ich habe vier sehr vernünftige Chefs gehabt. Mit jedem konnte man reden, wenn es mal ein Problem gab. Stiebling ist nun mal ein echtes Familienunternehmen“, so der heute 64-jährige Vater, der sechs Kinder großgezogen hat.

Einstiegsgehalt lag bei 4.05 D-Mark
Mit 14 Jahren bewarb sich Uwe Rednau um eine Lehrstelle bei „Reifen Stiebling“. 4.05 D-Mark verdiente er als Lehrling, nach seiner dreijährigen Lehrzeit inklusive Berufsschule wurde er als Geselle übernommen. Sein Arbeitsplatz war immer der Stiebling-Stammsitz in Herne, nur einmal gab es einen kurzen Abstecher zur Runderneuerung in die Filiale Gelsenkirchen.
In einem halben Jahrhundert lernte er natürlich nicht nur Generationen von Pkw und Lkw kennen, sondern auch Generationen an Reifen. Noch heute weiß Uwe Rednau, dass „ich beim Citroën die komplette Verkleidung abschrauben musste, um an den Reifen zu kommen“. Oder die Felgen der alten Fiats! „Die mussten wir erst anwärmen. Sonst hätten wir den Reifen nicht wechseln können.“ Auch das Arbeiten mit der Spike-Maschine beherrschte Uwe Rednau noch, ehe 1975 diese besondere Art von Winterreifen im bundesdeutschen Straßenverkehr verboten wurde.

Die Kunden erhielten eine Nummer
Ja, damals! „Damals wurde viel mehr repariert als heute, denn die meisten Reifen hatten noch Luftschläuche.“ Da die Rohstoffe knapp waren, wurde der Autoreifen so wieder fahrtauglich gemacht wie ein Fahrradschlauch: Flicken auf das Loch, vulkanisieren – und wieder losfahren. Auch Maschinen gab es viel weniger, dafür mehr persönliche Kontakte in der Werkstatt. Die Einlagerung der Reifen war ebenso unbekannt wie Terminvereinbarungen: „Unsere Kunden erhielten Nummern und wurden schön der Reihe nach bedient.“ Manchmal, wenn Schnee und Eis wie immer ganz plötzlich Einzug ins Ruhrgebiet hielten, auch bis Mitternacht. „Und dann“, so erinnert sich Uwe Rednau, der sich in seinen 50 Stiebling-Jahren auch zum Spezialisten für den Wechsel von Motorradreifen entwickelt hat, „gab es auch mal Trinkgeld“.

Und nun? Beine hochlegen? „Ja, ich werde mich erst einmal ausruhen“, blickt Rednau auf die Zeit „nach Stiebling“. Aber wahrscheinlich, wenn die Gesundheit es zulässt, nicht für immer, denn bei Juniorchef Alexander Stiebling steht er auf der Liste, wenn in der Hochsaison der Reifenwechsel, also im Frühling und im Herbst, jede helfende Hand gebraucht wird. Daher könnten schon bald aus den fünf Jahrzehnten noch „fünf Jahrzehnte plus X werden …

„Der Mensch steht immer im Mittelpunkt“
Für Seniorchef Christian Stiebling ist der Bald-Ruheständler jedenfalls ein Paradebeispiel eines „Menschen mit Profil“. „Er passte einfach in unser Familienunternehmen, bei dem immer der Mensch im Mittelpunkt steht. Wir kennen jede Angestellte und jeden Angestellten persönlich, alle können auch mit ihren privaten Sorgen zu uns kommen. Dank dieser Philosophie haben wir keine Personalprobleme. Bei uns bleiben die Mitarbeitenden. Das war vor 50 Jahren so und ist auch heute noch so. Wir haben zum Beispiel im Gegensatz zu vielen anderen Unternehmen keine Probleme, unsere Ausbildungsstellen zu besetzen. Wir haben sogar mehr Bewerber als Stellen.“